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Martin Andreas Walser

Alte Geschichten, neue Geschichten

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In den letzten Wochen habe ich eine Geschichte vorangetrieben, die sich plötzlich als erzählfertig meldete, und den anderen Text, an dem ich seit bald einem Jahr arbeite, erneut etwas zurückgestellt. Mit gutem Gewissen diesmal übrigens: auch, was mein nächster Roman werden soll, liegt – im Kopf – praktisch fertig bereit und braucht, scheint mir, bloss noch zu Ende geschrieben zu werden; es wird also, anschliessend an die derzeitige »kleine Schreibübung«, mehr Fleiss, denn Denkbarbeit erforderlich sein, das Werk zu vollenden.

Mit dieser neuen, kleinen Geschichte verhielt es sich übrigens so, wie es mir immer wieder ergeht: einst eine Idee, die, allen Bemühungen zum Trotz, nicht auszureifen schien, lag die Erzählung, aus heiterem Himmel, eines Morgens abrufbereit in meinem Hirn bereit, und sie war, wie ich beim Schreiben sofort spürte, bis in viele Einzelheiten hinein vollendet, bevor ich auch nur den ersten Satz zu Papier gebracht hatte.

Ich bin immer wieder fasziniert von diesem Moment: plötzlich sind alle Zweifel beseitigt und die Probleme, die sich der Vollendung einst als scheinbar unüberwindbare Hindernisse in den Weg stellten, haben sich über Nacht in Luft aufgelöst. Was ich als umso bemerkenswerter empfinde, als ich mich im vorliegenden Fall vor ungefähr vierzig Jahren erstmals mit der Idee befasste, die dieser neuen Geschichte zugrunde liegen wird, das Schreiben jedoch bald einmal aufgab: die Geschichte war mir zu süss damals, ein Schluss, der einigermassen plausibel und nicht allzu kitschig ausgefallen wäre, war nicht zu finden.

Erst vor etwa zwei Jahren, eben hatte ich mein Refugium, meine Schreibstube im Tessin gefunden, erinnerte ich mich bei einem Spaziergang durch die Wälder des oberen Vallemaggia der damaligen Versuche wieder. Mittlerweile, schien mir zu jenem Zeitpunkt, liesse sich die Geschichte erzählen ohne die Wehmut und die Trauer und jene Sehnsucht von früher, die damals gedroht hatte, mich von innen heraus zu zerfressen.

Doch erneut wollte sich kein Resultat einstellen, das meinen Vorstellungen auch nur annähernd standgehalten hätte, und, vor allem: noch immer lag für mich völlig im Dunkeln, wie die Geschichte ausgehen würde.

Also legte ich auch dieses neue Fragment zur Seite.

Und nun erwachte ich eines Morgens und spürte sogleich: so und nicht anders müsste ich diese Geschichte erzählen. All die bereits vorhandenen Puzzleteile hatten sich gewissermassen im Schlaf ineinander gefügt, die fehlenden sich wie durch ein Wunder dazugesellt, insbesondere auch ein Schluss, der mir vertretbar schien. Somit konnte ich den im Kopf weitgehend ausformulierten Text in vergleichsweise kurzer Zeit schreiben, ohne ins Stocken oder an eine Stelle zu geraten, an der ich nicht mehr weiter gewusst  oder wo ich zuerst hätte innehalten und nachdenken müssen.

Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, inwieweit sich bestätigt, wovon ich ziemlich überzeugt bin: dass das kleine Werk insofern gelungen ist, als es, wenigstens, meinen eigenen Ansprüchen genügt.

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