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Martin Andreas Walser

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Vielleicht…

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Vielleicht hätte ich ein buntes und nicht das dunkelblaue Hemd anziehen sollen.

Eine spektakulär gemusterte statt der schwarzen Hose.

Gelbe Schuhe.

Oder ich hätte wenigstens das Halstuch nicht ablegen sollen in der Garderobe.

Oder eine farblich mein übliches, halt stets etwas langweiliges optisches Erscheinungsbild aufwertende Umhängetasche mittragen müssen, deren sattes Gelb, kräftiges Rot oder giftiges Grün die Blicke und somit die Gedanken und damit die innere Überzeugung des übrigen Publikums sogleich in die richtige, nämlich in die von mir beabsichtigte Richtung gelenkt hätte: Da ist einer nicht bloss des Vergnügens und des Interesses wegen anwesend.

Und ich hätte die noch etwas Unsicheren in ihren Schlüssen, die sie unweigerlich aus der Beobachtung gezogen hätten, wohl vollends in ihrer Ahnung, ihrer Vermutung bestärken können, hätte ich der Tasche zu einem bestimmten Zeitpunkt, natürlich in einer der vorderen, nicht in der hintersten Reihe sitzend, mit einer etwas raschelnden Bewegung, selbstredend verbunden mit einem Blick des vermeintlichen Erschreckens ob des Geräuschs, das ich ungewollt dabei erzeugte, völlig ungewollt, so hätte ich es mein Gesicht darstellen lassen, mein Moleskine entnommen, nach dem Schreibgerät gekramt, es gesucht in meiner Jacke, derart betont verstohlen und leise, dass dies mit Sicherheit aufgefallen wäre, um dann endlich das Notizbuch zu öffnen und etwas hinzukritzeln: So bedeutsam der Moment, dass ich ihn festhalten muss – und dazu ein wissender, der Blick eines Menschen, der längst begriffen hat, worüber all die anderen Menschen rundherum noch immer nachdachten.

Und in die anschliessende Diskussion hätte ich mich schliesslich eingebracht mit dem einleitenden Satz: «Ich bewundere Sie.» Um locker fortzufahren: «Gerade, weil ich so anders bin. Ich würde diese Stimmung auf meine Weise zu erzeugen versuchen müssen, aber eben ganz anders, mir fehlen, für einmal und völlig ungewohnt, vor Ergriffenheit und Bewunderung die Worte.»

Ich hätte mich sodann über den Anlass natürlich sogleich in den Netzen ausgelassen, ausschliesslich lobend, das versteht sich, meine persönliche Anwesenheit nur am Rande, aber unüberlesbar vermerkend, wie ich über alles berichten würde, was mich Tag und Nacht umtreibt, ich, der Getriebene, der von der Muse Geküsste, der immerfort Reflektierende und jede gedankliche Regung beinahe im selben Moment wieder Ausscheidende und über die Menschheit Ergiessende, der unablässig Arbeitende.

Stattdessen sitze ich hier, hadere keineswegs mit dem Schicksal, bereue nichts und ärgere mich weder über mich selbst noch über jene, die es anders angehen, und erschaffe mir ganz still und leise eine neue, nachdem die alte Welt leergedacht ist.

Kein «Vielleicht» kann mich daran hindern, genau so zu bleiben, wie ich bin.

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