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Martin Andreas Walser

Allenfalls tatsächlich nur eine erste Annäherung

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traeume_cover_002_front_ob_webDas war es, was es mir so außerordentlich schwer machte (nun gut, mag man behaupten, dies sagt sich im Nachhinein leicht, und argwöhnen, da wolle einer nur von der aktuellen Situation profitieren und seinem jüngsten, den er eventuell als einen mittelmäßigen Text empfinde, die ihm abgehende Schärfe und Tiefe und Aktualität künstlich einhauchen, doch exakt so, was folgt, verhielt es sich): dass sich, während ich schrieb und einer simplen Idee zu folgen gedachte, die dieser damals noch Namenlose, der spätere Felix Amboden, in meine Träume hinein getragen hatte, eine Verstimmung, eine Krise, eine Katastrophe ankündigte und abzeichnete und hereinbrach und schlimm wurde und immer schlimmer, der den diesem »deinSein« zugrunde liegenden Gedanken schnell einmal in die Nähe der Lächerlichkeit rückte. Als ob dies in diesen Tagen und Wochen und Monaten jemanden kümmern würde oder könnte oder sollte, da gäbe es doch unendlich Wichtigeres, worüber man nachdenken, schreiben, reden müsste!: Dass hier ein Mann neben einer Frau in deren Bett aufwacht, einer, der so lange allein gelebt hat, und sich noch nicht einmal sicher sein kann, dass diese Monique überhaupt neben ihm läge, würde er die Augen öffnen.

Ich habe lange mit dieser Erkenntnis gerungen und mich gefragt, wie es weitergehen sollte mit diesem Felix Amboden. Zumal ja jeder Endpunkt einer Geschichte, dieses langsame Erwachen, mutmaßlich zu zweit, am Morgen danach, nach einer langen Zeit des Alleinseins, eine Vorgeschichte hat. Denn immerhin, verriet mir Felix Amboden: Da war damals »das mit Lydia« geschehen, was seinen Rückzug in diese Siedlung ausgelöst und letztlich seinen Traum von oder das Erwachen neben Monique erst ermöglicht hatte. Doch dies genüge nicht, um seine Abwendung von seiner früheren Partnerin zu erklären, bedeutete mir Felix Amboden. Und ich setzte also vor den Untertitel »Annäherung an Felix« das Wort »Erste« in der Meinung, Hoffnung, Überzeugung, Angst, es könnte sich eine zweite oder dritte oder vierte aufdrängen.

Später.

Denn während mir Felix Amboden ausdrücklich verbot, seine Trennung von Lydia und sein Verhalten danach, insbesondere aber jene davor: jene Zeitspanne, die es immer gibt, während der sich nämlich die Trennung abzeichnet oder man sie herbeiführt, sie provoziert, nichts unternimmt, sie abzuwenden, auf andere, denn auf persönliche Gründe zurückzuführen, ahnte, nein wusste ich, es gäbe Wesentlicheres aus dieser Phase zu berichten als das, was dieser fiktive Felix Amboden mir durchgehen ließ.

Immerhin will ich dir positiv anrechnen, dass du in dieser Phase deiner Öffnung mir gegenüber nicht darauf beharrst, ja mir geradezu untersagst, irgendwelche geopolitischen Zustände verantwortlich zu machen, nicht das Elend dieser Welt, dem wir täglich begegnen, wenngleich wir Satten und Zufriedenen und Selbstgerechten auch bloß in den Medien, für deinen Schmerz, und dass du mich von dir nicht zu behaupten zulässt, diese Zustände hätten dich zum Entschluss geführt, dich hineinzubegeben ins vollkommene Schweigen, in die Verweigerung gegenüber dieser Welt am Abgrund, dieser Welt voller abscheulicher Gier und rücksichtslosem Machtstreben, dieser Welt der dreisten Lügen und der unglaublichsten Verbrechen unter dem Deckmantel des Guten, dem man zum Durchbruch verhelfen wolle. Die meisten Menschen, könntest du erkannt haben, darauf jedenfalls deuten einige deiner Äußerungen hin, die für ein bestimmtes Verhalten, namentlich ihre Abwendung von Politik und Gesellschaft sehr gewichtige Gründe und Vorbehalte anführen, die Abscheu in ihnen ausgelöst und sie zu einem dem deinen vergleichbaren Schritt getrieben hätten, sind in Tat und Wahrheit oft auf diesen Weg geführt, gedrängt, gestoßen, worden einzig von ihrem im weltweiten Kontext verschwindend kleinen, vom privaten Problem. Doch erscheint es vielen oft peinlich zuzugeben (angesichts der weltweiten Not, der Kriege, der Folter, Unterdrückung, Verstümmelung, der drohenden, sich am Horizont deutlich abzeichnenden Katastrophen, die von den vordergründig Herrschenden und den im Hintergrund mit ihren unfassbar großen Mengen an Geld tatsächlich Bestimmenden kleingeredet werden), dass ausschließlich ihre ganz persönliche Situation die eigentliche Ursache für ihre Ablehnung all dessen war, was sich außerhalb ihrer eigenen vier Wände abspielt und ereignet oder unterbleibt. Nein, hast du mit aller Schärfe klargemacht, darauf wollest du es nicht ankommen lassen: Dass man dir deine tiefe Besorgnis um die Welt nicht abnehme und nichts als Wichtigtuerei dahinter vermute, während du doch bloß eine vorübergehende, eine kleine, persönliche Krise durchzustehen und zu überwinden hättest.

So heißt es in einer jener Passagen des Textes, die ich gestrichen habe. Insgesamt sind dem Veto des fiktiven Felix Amboden weitaus mehr Wörter und Sätze, Absätze und Kapitel zum Opfer gefallen, als stehengeblieben sind. Auch deshalb könnte es sich bei dieser allenfalls nur um eine erste Annäherung gehandelt haben.

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